Straffreiheit im Strassenverkehr mit ukrainischen Nummernschildern?
Straffreiheit im Strassenverkehr mit ukrainischen Nummernschildern?
Mehr als 50’000 Ukrainerinnen und Ukrainer haben in der Schweiz bereits Schutz gesucht. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) informiert entsprechend regelmässig via Twitter über die ukrainische Flüchtlingssituation in der Schweiz. Um den Geflüchteten das Ankommen zu erleichtern, haben die Behörden einige Unterstützungsmassnahmen ergriffen. So hat der Bund unter anderem eine Ausnahmeregelung betreffend der Fahrberechtigung von Personen aus der Ukraine geschaffen. Denn die ukrainischen Behörden sind derzeit nicht in der Lage, die physische oder digitale Führerausweise der in der Schweiz angekommenen Landsleute zu bestätigen. In Anbetracht der Situation möchte die offizielle Schweiz den Geflüchteten unter bestimmten Voraussetzungen trotzdem erlauben, Fahrzeuge führen zu dürfen. Geniessen deswegen nun Fahrzeuge mit ukrainischen Nummernschildern eine Vorzugsbehandlung im Strassenverkehr
In einem in den sozialen Medien kursierendem Screenshot wird behauptet, dass alle, die mit einem ukrainischen Nummernschild im Strassenverkehr unterwegs sind, «überall kostenlos parken» und beliebig schnell fahren dürfen. Dazu wird angeblich ein ukrainisches Kennzeichen für 150 Euro zum Kauf angeboten.
Es handelt sich um ein gefälschtes Angebot. Ebay Kleinanzeigen dementiert, jemals ein derartiges Verkaufsangebot aufgeschaltet zu haben. Mit einem ukrainischen Kennzeichen darf man nicht beliebig schnell fahren. Auch von einer allgemeinen Gratis-Regelung fürs Parkieren kann in Schweiz nicht gesprochen werden. Fakt ist vielmehr, dass die Gemeinden autonom entscheiden, inwiefern sie diesbezüglich den Flüchtlingen aus der Ukraine entgegenkommen wollen.
«Das fragliche Angebot war zu keiner Zeit auf Ebay Kleinanzeigen verfügbar», beantwortete deren Pressesprecherin Pauline Heereman die Anfrage von Keystone-SDA. Das Unternehmen vermutet, dass es sich um den Screenshot einer Vorschau handelt, die man beim Erstellen einer Anzeige ansehen kann.
Das im Sharepic abgebildete Nummernschild entspricht dem Bild des Wikipedia-Artikels, beide Bilder haben schwarze Punkte zwischen «4» und «A» sowie Unregelmässigkeit am Rand darunter. Das Bild ist zudem veraltet, solche Nummernschilder wurden in der Ukraine in der Zeit von 2004 bis 2014 verwendet. Zudem stehen die Buchstaben AK für die Halbinsel Krim, die schon seit 2014 russisch besetzt ist.
In der Schweiz sind die kantonalen beziehungsweise die kommunalen Polizeibehörden für die Durchsetzung der Verkehrsregeln sowie das Parkplatzregime zuständig, erklärte Mediensprecher Christoph Gnägi vom Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement (EJPD).
Auf eine Anfrage von Keystone-SDA äusserte sich Kenneth Jones, Mediensprecher der Kantonspolizei Zürich, unmissverständlich: «Das Strassenverkehrsgesetz gilt für alle Verkehrsteilnehmer gleichermassen». Auch die Stadtpolizei Zürich nimmt die Kontrolltätigkeit auf der Strasse für alle Verkehrsteilnehmenden wahr. Pascal Siegenthaler, Mediensprecher der Stadtpolizei, räumt auf ein, dass «bei Einwendungen und Besuchen am Schalter durch Ukrainische Staatsangehörige […] ein einmaliges Aufheben der Ordnungsbusse [erfolge]». Dies gelte sozusagen als Erinnerung an die hiesigen Strassenverkehrsregeln.
«Für die Blauen Zonen erhalten Fahrzeuge mit ukrainischen Kennzeichen hingegen kostenlos eine Anwohnerparkkarte für denjenigen Kreis, in dem der Fahrzeughalter temporär wohnhaft ist», schrieb Heiko Ciceri von der Stadt Zürich. Der Leiter Kundendienst führte aus, dass die ukrainischen Flüchtlinge vorab glaubhaft darzulegen hätten, dass der Grund für ihre Einreise in die Schweiz der Krieg in der Ukraine war. Zudem müssten sie im Besitz des Aufenthaltsstatus S sein und eine Wohn- beziehungsweise Aufenthaltsadresse in Zürich angeben können. Auf dieser Basis würde die Stadt Zürich eine Anwohnerparkkarte für den entsprechenden Stadtkreis für das laufende Jahr 2022 kostenlos ausstellen.
Jede Gemeinde entscheidet bezüglich solchen Erleichterungen für die Heimatvertriebenen autonom. Auch andere Gemeinden erlassen den Flüchtlingen aus der Ukraine die Gebühren für die Blaue Zone. Medienberichten ist zu entnehmen, dass die Stadt Winterthur und Basel eine ähnliche Regelung haben und ukrainische Flüchtlinge in der Blauen Zone gratis parkieren dürfen. In Basel sei dies bis Ende Mai 2022 befristet.
Mehrere Hinweise deuten darauf hin, dass das auf Facebook gepostete vermeintliche Angebot seinen Ursprung nicht in der Schweiz hat. Einerseits ist im Sharepic die deutsche Ortschaft Mannheim angegeben, andererseits wird das Wort «parken» anstelle des in der Schweiz üblichen Wortes «parkieren» verwendet.
Die Durchsetzung der Verkehrsregel obliegt in Deutschland den Bundesländern, in einigen Kommunen wurde Falschparkende aus der Ukraine von Seiten den lokalen Behörden Kulanz entgegengebracht. Dies geht aus den Recherchen der Faktenchecker der AFP hervor. In der österreichischen Hauptstadt Wien hingegen wurde eine Sonderregelung für Fahrzeuge mit ukrainischem Kennzeichen geschaffen. Diese durften bis Ende Mai 2022 ihre Autos auf Parkplätzen im öffentlichen Raum kostenlos abstellen.
SEM: Tweet über die Zahlen zur ukrainischen Flüchtlingssituation in der Schweiz, 03.06.2022 (archiviert)
ASTRA: Strassenverkehrsrechtsregelungen für die Fahrberechtigung von Personen aus der Ukraine, 07.04.2022 (archiviert)
DEZA: Factsheet – Schweizer Zusammenarbeit mit der Ukraine, 2020 (Download) (archiviert)
Ukrainische Verkehrsnummernschilder (archiviert)
Ukrainische Verkehrsnummernschilder: Buchstabencode (archiviert)
Wikipedia: Verkehrsnummernschilder Ukraine (archiviert)
Telebasel: Geflüchtete aus der Ukraine dürfen gratis parieren, 5.4.2022 (archiviert)
Landbote: Geflüchtete aus der Ukraine dürfen gratis parieren, 26.4.2022 (archiviert)
AFP-Faktencheck, 12.5.2022 (archiviert)
Stadt Wien: Medienmitteilung zur Verlängerung der Unterstützungsmassnahmen für Geflüchtete aus der Ukraine, 14.3.2022 (archiviert)
Stadt Wien: Medienmitteilung zur Auflösung der Sonderregelung zum Parkieren für Geflüchtete aus der Ukraine, 29.4.2022 (archiviert)
Kontakt Faktencheck-Team: factchecking@keystone-sda.ch