06.09.2023 | Faktencheck

Wird das Klima künstlich beeinflusst?

Vom 11. bis 15. März 2019 fand in Nairobi, Kenia, die vierte UN-Umweltversammlung statt. Als damalige Vorsteherin des Eidgenössischen Departementes für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) und somit auch des Bundesamtes für Umwelt (BAFU) reiste Simonetta Sommaruga nach Kenia.


Flugzeuge versprühen nicht systematisch Chemikalien in die Atmosphäre: Kondensstreifen eines Verkehrsflugzeugs am 17. Juni 2017 vor grossem Mond über Genf. Foto: Keystone-SDA/Valentin Flauraud
Flugzeuge versprühen nicht systematisch Chemikalien in die Atmosphäre: Kondensstreifen eines Verkehrsflugzeugs am 17. Juni 2017 vor grossem Mond über Genf. Foto: Keystone-SDA/Valentin Flauraud
Behauptung

In den sozialen Medien kursiert ein Ausschnitt aus einem Interview mit der ehemaligen Bundesrätin über die Schweizer Bemühung, den Umweltschutz global zu beeinflussen. Ein Facebook-User schreibt dazu: «Simonetta Sommaruga bezeugt die Existenz von Chemtrails, auch bekannt als Geoengineering.» Was sind Chemtrails, was Geoengineering und was sagte die ehemalige Bundesrätin damals in Nairobi?

Beurteilung

 
Simonetta Sommaruga bestätigte im Interview, dass der Schweizer Antrag zur Untersuchung der Chancen und Risiken der künstlichen Beeinflussung des Klimas in Nairobi keinen Konsens fand. Unter «Geoengineering» versteht man unterschiedliche Methoden, um mit gezielten Eingriffen in das Klimasystem und der vom Menschen verursachten Klimaerwärmung entgegenzuwirken. An derartigen Methoden wird schon länger geforscht, doch es gibt keine Belege, dass Flugzeuge systematisch Partikel in die Atmosphäre versprühen würden, wie es die Chemtrail-Hypothese behauptet.

Sachlage

Das Interview wurde von Keystone-SDA in Nairobi aufgenommen, auch andere Medien wie der «Blick» publizierten das Video. Darin drückte die damalige Bundesrätin ihr Bedauern aus, dass der Antrag, Chancen und Risiken der künstlichen Klimabeeinflussung zu untersuchen, keinen Konsens auf internationaler Ebene fand. Mehrere Länder wie die USA und Saudi-Arabien blockierten die Resolution, worauf die Schweizer Delegation ihren Antrag zurückzog. Wie der Bundesrat betonte, würden sich die Schweizer Behörden weiterhin für Untersuchungen zur künstlichen Klimabeeinflussung engagieren.


Was versteht man unter Geoengineering?


Das gezielte Eingreifen in das Klimasystem wird oft auch «Geoengineering» genannt. An der künstlichen Klimabeeinflussung wird schon länger geforscht. Diskutiert werden vor allem zwei Methoden, die ganz unterschiedliche Ansätze verfolgen (Download, Seite 10).


Bei Negativemissionstechnologien (NET) wird Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre entfernt und anschliessend für lange Zeit gebunden oder sicher verwahrt.  Die Wissenschaft fokussiert auf verschiedene Optionenwie in die Bindung von CO2 in Wäldern, im Boden oder in der Düngung von Ozeanen.


Die andere Methode – Solar Radiation Modification (SRM) – zielt hingegen darauf ab, die Sonneneinstrahlung zu beeinflussen und somit den Wärmehaushalt der Erde zu regulieren.


Noch ist einiges an Forschungsarbeit bezüglich Machbarkeit und Wirkung bei der künstlichen Klimabeeinflussung zu leisten, doch warnen Wissenschaftler bereits vor den unabsehbaren Folgen derartiger Eingriffe. Internationale Reglementierungen fehlen. Weitgehend unerforscht sind potenzielle Nebenwirkungen, wie etwa die Gefahr einer Veränderung der regionalen Niederschlagsverteilung oder direkte Auswirkungen auf die Ökosysteme. Zudem ist eine künstliche Klimabeeinflussung mit Ressourcen und Kosten verbunden.


Engagement der Schweiz


«Die Schweiz verfolgt SRM im Rahmen ihrer nationalen Klimapolitik nicht aktiv. Sie setzt sich hingegen international dafür ein, dass Diskussionen über das Wissen um SRM wie auch NET und deren internationale Regelung weiter vorangetrieben werden», schreibt das BAFU in einem Faktenblatt (Seite 3). Wie Simonetta Sommaruga bereits in Nairobi forderte, setzen sich die Schweizer Behörden nach wie vor für die Analyse von Chancen und Risiken der künstlichen Klimabeeinflussung ein. Denn der Weltklimarat (IPCC) ist gemäss BAFU der Auffassung, dass die gezielte Entfernung von CO2 aus der Luft «unumgänglich» sei, «um die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken».


Was versteht man unter Chemtrails?


Die Chemtrail-These geht davon aus, dass Flugzeuge gezielt und in geheimen Aktionen Chemikalien in die Luft sprühen. Dies würde der «Wettermanipulation, der gezielten Bevölkerungsreduktionen oder militärischen Zwecken» dienen, schreibt das Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL).


Tatsächlich lösen Flugzeuge bei genügend Luftfeuchtigkeit und tiefen Temperaturen die Bildung von Kondensstreifen aus. Doch bestehen diese hauptsächlich aus Wasser in der Form von Eiskristallen. Ein kleiner Teil stammt von den Flugzeugtriebwerken, der Grossteil besteht nachweislich aus Wasser, welches sich gasförmig bereits in der Luft befindet und vom Flugzeug zur Kondensation gebracht wird.


Keine Belege für Chemtrails-Aktivitäten in der Schweiz


Im Interview in Nairobi sprach Simonetta Sommaruga nicht von Chemtrails oder anderweitigen geheimen Aktivitäten, die das Klima künstlich beeinflussen sollen. Auch anderweitig lassen sich keine Belege dafür finden. Der Bundesrat nahm im Jahr 2007 Stellung zu einer Interpellation: «Im europäischen Raum entbehrt diese Chemtrail-These jeglicher Grundlage, denn das geheime, systematische Versprühen von Chemikalien ist einerseits verboten und andererseits aufgrund der permanenten Kontrolle des Luftraums praktisch unmöglich.» 


Für derartige Sprüheinsätze benötigte Flugzeuge müssten zudem ein technisch aufwändiges Zertifizierungsverfahren beim Bund durchlaufen (Seite 3 ff.). Dem Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) ist kein entsprechender Antrag zu einem Umbau bekannt. Triebwerke und Treibstoffsysteme sind für spezifizierten Treibstoff gebaut und nur dafür zugelassen. Auch hier hat das BAZL keine Kenntnisse über Triebwerkszertifizierungen für erweiterte Chemikalienbeigaben.


Künstlicher Eingriff ins Klimasystem – eine globale Herausforderung


Der Bundesrat hat keine Kenntnisse davon, ob ausserhalb von Europa, vor der internationalen Gemeinschaft verborgen, gezielt chemische Partikel in die Luft versprüht werden. Die Max-Planck-Gesellschaft schliesst nicht aus, dass irgendwann einzelne Staaten eigenmächtig künstlich ins Klimasystem eingreifen, ohne sich mit der internationalen Gemeinschaft abzusprechen. Gemäss dem Institut wäre dies ein «Fiasko», da die gesamte globale Gemeinschaft davon betroffen wäre.