13.09.2023 | Faktencheck

Erhalten Personen mit Schutzstatus S eine AHV?

Der Krieg in der Ukraine dauert schon über eineinhalb Jahren. Gemäss der UNO sind über 6 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer aufgrund des russischen Angriffskriegs aus dem Land geflohen. Ein Ende des Krieges  ist derzeit nicht abzusehen. 


Bundesrätin Karin Keller-Sutter am 23. August 2022 in Bern mit Teilnehmenden aus den Kantonen, Sozialpartnern, Wirtschaftsverbänden und Vertretern der Arbeitsmarktbehörden vor der Diskussion über Ansätze zur Förderung der Arbeitsmarktintegration von Personen mit Schutzstatus S. Foto: Keystone-SDA / Peter Klaunzer
Bundesrätin Karin Keller-Sutter am 23. August 2022 in Bern mit Teilnehmenden aus den Kantonen, Sozialpartnern, Wirtschaftsverbänden und Vertretern der Arbeitsmarktbehörden vor der Diskussion über Ansätze zur Förderung der Arbeitsmarktintegration von Personen mit Schutzstatus S. Foto: Keystone-SDA / Peter Klaunzer
Behauptung

Die Schweiz hat seit der russischen Invasion im Februar 2022 vielen Ukrainerinnen und Ukrainern einen Schutzstatus gewährt. Nun kursieren in den sozialen Medien diverse Behauptungen zu Ansprüchen auf Sozialversicherungsleistungen für Geflüchtete.  So soll der Asylstatus für 42 Millionen Ukrainerinnen und Ukrainer bis März 2024 verlängert worden sein. Ab diesem Zeitpunkt seien Personen, die dann älter als 65 Jahre sind, AHV-Bezüger, sofern sie bereits ein Jahr in der Schweiz weilten. Die Gemeinden würden für diese Flüchtlinge rückwirkend für fünf Jahre die Mindestbeiträge für die obligatorische Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) bezahlen. Die Geflüchteten aus der Ukraine würden zwar nur eine Mindestrente erhalten, doch gehe die Auszahlung auch bei einer Rückkehr in die Ukraine weiter. Stimmt das?

Beurteilung

Teilweise falsch und irreführend. Den Schweizer Schutzstatus S, welcher nicht mit dem Flüchtlingsstatus gleichzusetzen ist, haben derzeit rund 85’000 Ukrainerinnen und Ukrainern - nicht 42 Millionen. Rückwirkende Mindestbeiträge an die AHV zahlt die Gemeinde ab dem Zeitpunkt eines Wohnsitzes in der Schweiz. Für Ukrainer können das derzeit keine fünf Jahre sein, da der Schutzstatus S im März 2022 aktiviert wurde. An zurückgekehrte Ukrainerinnen und Ukrainer werden keine Renten gezahlt.

Sachlage

Die Gesamtbevölkerung in der Ukraine zählte im Jahr 2021 gemäss der Weltbank rund 43,8 Millionen Menschen. Doch nicht alle davon sind Schutzsuchende in der Schweiz: In etwas mehr als 85’000 Fällen gewährte die Schweiz Ukrainern Schutz, wie aus Daten (Download) des Staatssekretariat für Migration hervorgeht. Diese Statistik berücksichtigt die Zeitspanne vom 12. März 2022, als hierzulande der Schutzstatus S für Geflüchtete aus der Ukraine aktiviert wurde, bis Anfang September 2023. Der Schutzstatus S muss beantragt werden und gilt nicht automatisch für alle Ukrainer. Er ist zudem befristet – aktuell bis zum 4. März 2024.


Es ist korrekt, dass die Schweiz den Schutzstatus S sowie Unterstützungsleistungen im November 2022 bis zum 4. März 2024 verlängert hat, da eine «nachhaltige Stabilisierung der Lage in der Ukraine […] auf absehbare Zeit nicht zu erwarten» sei, wie der Bundesrat schreibt. Diese Regelung betrifft aber nur den Schutzstatus S. Dieser ist nicht dem Asylstatus gleichzusetzen.


Für den Schutzstatus S müssen Antragssteller kein ordentliches Asylverfahren durchlaufen. Diesem Status ermöglicht es Geflüchteten ohne Wartefrist eine Erwerbstätigkeit auszuüben, sofern dies eine kantonale Behörde bewilligt. Können die Geflüchteten mit Schutzstatus S nicht für ihren Lebensunterhalt aufkommen, erhalten sie Sozialhilfe.


Derzeit keine rückwirkende Beitragszahlung möglich


Sind Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S in der Schweiz erwerbstätig oder haben ihren zivilrechtlichen Wohnsitz in der Schweiz, dann sind sie auch in der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) versichert. Personen, die erwerbstätig sind, müssen Beiträge bezahlen. Das teilte ein Sprecher des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV) auf Anfrage von Keystone-SDA mit. Solange Personen mit Schutzstatus S nicht erwerbstätig sind und solange kein Versicherungsfall wie beim Erreichen des Rentenalters eintritt, müssen keine AHV-Beiträge bezahlt werden, erklärt der BSV-Sprecher.


Mit 65 Jahren erreichen in der Schweiz Männer das Rentenalter, Frauen derzeit noch mit 64 Jahren. Die Altersrente kann um ein oder zwei Jahre vorbezogen werden, was allerdings mit einer Rentenkürzung einhergeht. Bei einem Vorbezug von einem Jahr wird die Rente um 6,8 Prozent, bei einem Vorbezug von zwei Jahren um 13,6 Prozent gekürzt.


Wer bereits im Rentenalter aus der Ukraine in die Schweiz geflüchtet ist, ist nicht AHV-beitragspflichtig, hat aber auch keinen Anspruch auf eine AHV-Altersrente. Wer hingegen das Rentenalter noch nicht erreicht hat und für mindestens ein Jahr Beiträge an die AHV bezahlt hat, hat grundsätzlich einen Anspruch auf Leistungen der AHV, also auch auf eine Altersrente, sobald das Rentenalter erreicht wird. Das BSV rechnet vor, dass beispielsweise «ein Mann, der mit 65 Jahren in Rente geht und ein Beitragsjahr in der Schweiz aufweist, eine monatliche Altersrente zwischen 28 und 56 Franken» erhalten würde.


Die Personen mit Schutzstatus S haben bei Bedarf Anspruch auf Sozialhilfe, wenn alle Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Erreicht eine Person mit Schutzstatus S, welche Sozialhilfe bezieht und keine AHV-Beiträge bezahlte, das Rentenalter, dann kommt die Gemeinde für die Mindestbeitragszahlungen an die AHV auf, - «rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Begründung des zivilrechtlichen Wohnsitzes in der Schweiz, der mit der Einreise nicht automatisch gegeben ist», wie der BSV-Sprecher erklärt. Die rückwirkende Beitragszahlung erstrecke sich auf eine Dauer von maximal fünf Jahren, was bei den Personen aus der Ukraine bei Weitem noch nicht möglich ist, da der Schutzstatus S für sie erst im März 2022 aktiviert wurde.


Keine AHV-Auszahlungen an Rückkehrer


AHV-Renten werden nicht in die Ukraine gezahlt, wenn die Geflüchteten zurückkehren. Zwischen der Schweiz und der Ukraine bestehe kein Sozialversicherungsabkommen, schreibt der BSV-Mediensprecher.


Beim Verlassen der Schweiz können Ukrainerinnen und Ukrainer die bezahlten AHV-Beiträge zurückfordern, sofern sie mindestens für ein Jahr Beiträge an die AHV einbezahlt haben. Hat eine Gemeinde für ausländische Staatsangehörige die Beitragszahlungen übernommen, werden diese allerdings nicht zurückgezahlt, so der BSV-Mediensprecher weiter.


Reichen die Renteneinkommen nicht zur Existenzsicherung aus, decken Ergänzungsleistungen (EL) den restlichen Lebensbedarf. Das BVS schreibt, dass Geflüchtete aus der Ukraine mit Schutzstatus S bezüglich Ergänzungsleistungen (EL) gleichbehandelt würden wie alle anderen Staatsangehörigen aus Nichtvertragsstaaten: «Sie müssen während mindestens 10 Jahren ununterbrochen in der Schweiz gelebt haben, bevor sie EL beanspruchen können. EL werden nur bei Wohnsitz und gewöhnlichem Aufenthalt in der Schweiz bezahlt, nicht aber exportiert.»


Die Leistungen der Sozialversicherungen sind immer wieder Gegenstand von Falschbehauptungen. So ist es etwa nicht korrekt, dass Rentnerinnen und Rentner, welche 45 Jahre in der Schweiz gearbeitet haben, weniger Geld als Asylsuchende erhalten, wie Keystone-SDA bereits in einem Faktencheck feststellte.