11.05.2022 | Faktencheck

Verdachtsmeldungen = bestätigte Nebenwirkung?

In der Schweiz sind seit dem 1. April 2022 sämtliche Massnahmen zur Eindämmung der Covid-Pandemie aufgehoben, es gilt wieder die normale Lage. Erste Lehren aus den Pandemiejahren sind gezogen. Einerseits werden auf internationaler Ebene Verbesserungen in der Gesundheitsversorge angestrebt. Aber auch national wird über die Corona-Politik der letzten beiden Jahre diskutiert. Weiteren Gesprächsstoff liefern die eingesetzten Covid-Impfstoffe.


Bundesrat Alain Berset, Mitte, mit Michael Gerber, Leiter Abteilung Recht, BAG, links, und Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit Bundesamt für Gesundheit BAG, rechts, am 30. März 2022 im Medienzentrum Bundeshaus in Bern während der Medienkonferenz über die neusten Entscheide des Bundesrates zur Coronavirus-Pandemie. Foto: Keystone-SDA / Anthony Anex
Bundesrat Alain Berset, Mitte, mit Michael Gerber, Leiter Abteilung Recht, BAG, links, und Patrick Mathys, Leiter Sektion Krisenbewältigung und internationale Zusammenarbeit Bundesamt für Gesundheit BAG, rechts, am 30. März 2022 im Medienzentrum Bundeshaus in Bern während der Medienkonferenz über die neusten Entscheide des Bundesrates zur Coronavirus-Pandemie. Foto: Keystone-SDA / Anthony Anex
Behauptung

In einer Grafik auf Facebook wird behauptet, dass angeblich über 40-mal mehr Todesfälle nach einer Covid-Impfung als nach einer Grippe-Impfung registriert worden seien. Das Risiko für bleibende Impfschäden sei bei einem Covid-Impfstoff sogar um 173-mal höher als bei Influenza-Impfstoffen. Sind diese Rückschlüsse korrekt?

Beurteilung

Der Grafik liegen keine nachgewiesenen Nebenwirkungen, sondern Verdachtsfälle zugrunde. Durch die Sensibilisierung in der Bevölkerung wurden während der Pandemie deutlich mehr Verdachtsmeldungen übermittelt. Die Behörden in Deutschland und der Schweiz stufen die Covid-Vakzinen als sicher und wirksam ein.

Sachlage

Der Vergleich der Verdachtsmeldungen zu den Covid- mit den Grippe-Impfung wurde vom Verein Wissenschaft für die Gesellschaft erstellt. Der ehrenamtlich geführte Verein mit Sitz in der Schweiz setzt sich aus Wissenschaftlern, Statistikern, Designern und Informatikern aus dem DACH-Raum und der Niederlende zusammen. Ihr erklärtes Ziel gemäss ihrem Internetauftritt sei, anhand Daten und Statistiken Transparenz zur Corona-Pandemie zu schaffen. Ist ihnen das in der vorliegenden Grafik gelungen? Denn diese wurde mehrfach weiterverbreitet und auch der Verein Freunde der Verfassung nahm die Grafik in seinen Newsletter auf.


Als Datenquelle für den Vergleich diente der Sicherheitsbericht zur Covid-Vakzine des Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) vom Februar 2022. Das Institut ist in Deutschland für die Sicherheit von Arzneimitteln zuständig und die Meldestelle für unerwünschte Reaktionen, die in zeitlichen Nähe zur Einnahme eines Arzneimittels beobachtet wurde.


Neben dem Gesundheitsfachpersonal sind auch Patientinnen und Patienten oder deren Angehörige dazu aufgerufen, derartige Reaktionen zu melden. Es handelt sich hierbei also um Verdachtsfälle. Das steht auch rechts in der auf mehreren Plattformen kursierenden Grafik, im mittleren Bereich ist jedoch von mehr Todesfällen und mehr bleibenden Schäden die Rede.


Das PEI warnt explizit vor einer falschen Interpretation solcher Verdachtsmeldungen. Diese sind «nicht geeignet, die Kausalität einer unerwünschten Reaktion mit der Impfung zu belegen und/oder die Häufigkeit einer Nebenwirkung zu ermitteln», schreibt das PEI. Um die effektive Ursache der unerwünschten Reaktion zu ermitteln, seien weitere Untersuchungen oder Studien notwendig.


Im Sicherheitsbericht vom Februar 2022 betont das PEI die Wirksamkeit und Verträglichkeit der Covid-19-Impfstoffe. Sie seien eine effektive Massnahme, um die Pandemie einzudämmen. Schwerwiegende Nebenwirkungen seien selten beobachtet worden. Gemäss den neusten Analyse im Sicherheitsbericht vom Mai 2022 ist die Situation unverändert, es konnten keine neuen Risikosignale identifiziert werden.


Bis Ende 2021 wurden in Deutschland fast 149 Millionen Impfungen durchgeführt. Beim PEI gingen 244’576 Verdachtsfälle auf eine Nebenwirkung ein. Etwas weniger als 30’000 davon wurden als schwerwiegend eingestuft.


In den mehr als 2’200 gemeldeten Verdachtsfällen mit einem tödlichen Ausgang bewertete das PEI lediglich bei 85 Personen die Impfung als mögliche oder wahrscheinliche Todesursache. All diese Personen waren aber vorbelastet und das Impfrisiko war vorab bekannt. Verglichen mit der generellen Anzahl von Todesfällen in Deutschland ergab sich keine erhöhte Sterblichkeit nach der Impfung.


Auch gibt das PEI Entwarnung bei Langzeitfolgen durch Covid-Impfstoffe. Die meisten Nebenwirkungen treten innerhalb weniger Stunden oder Tagen nach der Impfung auf. Nebenwirkungen, die erst viel später auftreten, beobachtete das PEI in der Vergangenheit höchst selten, Befürchtungen darüber seien unbegründet. Seit Ende 2020 werden Covid-Impfstoffe eingesetzt und seither milliardenfach angewendet worden. «Diese Impfstoffe und ihre Nebenwirkungen sind inzwischen gut bekannt – auch sehr selten auftretende Nebenwirkungen», schreibt das PEI.


In den Pandemie-Jahren verzeichnete das PEI deutlich mehr Verdachtsmeldungen von Patientinnen oder Patienten selbst oder deren Angehörigen. Möglicherweise hat die Sensibilisierung durch die gesundheitliche Krise die Melderaten insbesondere durch natürliche Personen erhöht. Durch dieses veränderte Meldeverhalten sind die Daten nur schwer mit anderen Impfungen zu vergleichen.


Zudem muss auch der Faktor Zeit berücksichtigt werden. Werden Impfstoffe in einem kurzen Zeitraum millionenfach verwendet, ist automatisch mit einem Anstieg der Meldungen von potenziellen Nebenwirkungen zu rechnen, schrieb eine Sprecherin des PEI an die Deutsche Presse-Agentur (dpa) für einen früheren Faktencheck


Auch das Alter der Patienten, bei denen Nebenwirkungen beobachtet wurden, muss bei der Auswertung beachtet werden. Das PEI betonte schon im 2021, dass es bei der Impfung von älteren Menschen oder Menschen mit schweren Vorerkrankungen oder mit Sterberisiken kurz darauf einige zufällige Todesfällen geben werde, die jedoch nicht mit der Impfung assoziiert werden können.


Genau wie das PEI stuft auch das Schweizerische Heilmittelinstitut Swissmedic das Nutzen-Risiko-Verhältnis der Covid-Vakzinen nach wie vor positiv ein. Insgesamt sind hierzulande Anfang Mai 2022 über 6 Millionen Menschen geimpft, was über 70% der Bevölkerung entspricht. Bis dahin wurden 210 schwerwiegenden Verdachtsfällen gemeldeten, wobei ein Todesfall in zeitlicher Nähe zu einer Covid-Impfung registriert wurde. Doch es gäbe andere, wahrscheinlichere Faktoren, welche den Tod herbeigefügt hätten, so Swissmedic.