29.05.2024 | In eigener Sache

Hanspeter Kellermüller, CEO von Keystone-SDA, im Interview

Seit dem 1. September 2023 ist Hanspeter Kellermüller CEO von Keystone-SDA. Im Interview mit dem Kommunikationsmagazin «persönlich» spricht er über das grosse persönliche Engagement der Mitarbeitenden, den grossen Vorteil der Nachrichtenagentur, ein multimediales Angebot aus einer Hand anbieten zu können, aber auch über Herausforderungen, Medienförderung, Desinformation und Künstliche Intelligenz.


Foto: KEYSTONE / Gaëtan Bally
Foto: KEYSTONE / Gaëtan Bally



Herr Kellermüller, Sie sind seit dem 1. September 2023 CEO von Keystone-SDA. Was hat Sie an Ihrem Job am meisten überrascht? 
Ich würde nicht von einer Überraschung sprechen. Was mich aber vom ersten Tag an beeindruckt hat, waren die starke Identifikation der Mitarbeitenden mit Keystone-SDA, das grosse persönliche Engagement und der Anspruch, in einem hektischen Tagesgeschäft ausgezeichnete journalistische Arbeit zu leisten. Es herrscht im Agenturjournalismus ein angenehm unprätentiöser Professionalismus. Der Eitelkeitsfaktor liegt wohl deutlich unter dem Branchenschnitt (schmunzelt).

Sie waren vorher Generalsekretär bei der NZZ und Geschäftsführer des Verbandes Schweizer Medien. Was hat Sie veranlasst, erneut operativ tätig zu werden? 
Es war der Reiz des Neuen. Ich war bei der NZZ fest verankert und eigentlich rundum zufrieden. Aber letztlich war die Lust stärker, noch einmal etwas Neues zu wagen und in die operative Gesamtverantwortung zu gehen. Und Keystone-SDA ist ja nicht irgendeine Firma, sondern eine Institution in der Schweiz, die mir durch mein früheres Verwaltungsratsmandat bekannt und nahe war und deren Zukunft mir wichtig ist.

Keystone-SDA war in den vergangenen Jahren immer wieder im Zentrum medienpolitischer Diskussionen. In welchem Zustand befindet sich das Unternehmen heute? 
Wir haben eine solide Bilanz, die Qualität unseres Angebots ist anerkannt. Wir verfügen über ausgezeichnete journalistische Kompetenzen und eine starke Verankerung im Markt. Aber wir haben Herausforderungen bei der Umsatzentwicklung. Die Erträge gehen seit Jahren zurück. Darauf müssen wir eine Antwort finden.

Wie nehmen Sie aus Ihrer Warte den Strukturwandel wahr? Durch Abo-Kündigungen? 
Ja, auch. Mit den meisten Kunden verbindet uns aber eine langjährige Zusammenarbeit, die kaum in Frage gestellt wird. Unter Umständen beziehen einige Unternehmen weniger Leistungen. Und natürlich steigt der Preisdruck. Dabei bin ich überzeugt, dass wir als Agentur unsere Kunden in dieser anspruchsvollen wirtschaftlichen Situation mit unseren Diensten entlasten und unterstützen können, damit sie sich auf ihre Eigenleistung konzentrieren können. In unserem Kerngeschäft, den Abo-Dienstleistungen für Medien, sind wir einigermassen stabil. Stärker ist der Rückgang beim Einzelverkauf von Bildern. Diese Entwicklung zeigt sich aber nicht nur bei uns, sondern auch im internationalen Vergleich.

Welche Auswirkungen hatte die Ablehnung des Medienpakets auf Ihr Unternehmen? 
Das Medienpaket sah eine verstärkte Förderung von Nachrichtenagenturen vor. Dieser Aspekt der damaligen Vorlage war in Politik und Parlament weitgehend unbestritten und hätte uns bei der Grundversorgung bestimmt geholfen. An sich ist es unser primäres Ziel, für die wirtschaftlichen Herausforderungen die passenden unternehmerischen Antworten zu finden. Wir müssen aber realistischerweise anerkennen, dass es nicht möglich ist, in einem kleinräumigen, mehrsprachigen Markt wie der Schweiz einen journalistischen Basisdienst ohne öffentliche Unterstützung aufrechtzuerhalten. Wir haben zwar heute schon Unterstützung durch den Bund, aber der Basisdienst ist auch so noch defizitär. Es ist daher zu begrüssen, dass derzeit eine parlamentarische Initiative das Thema der Förderung von Nachrichtenagenturen erneut aufgreift.

Die NZZ, Ihr früherer Arbeitgeber, hat sich explizit gegen einen Ausbau der Medienförderung ausgesprochen. Teilen oder teilten Sie diese Ansicht? 
Es ist etwas komplizierter. Die NZZ-Redaktion war in der Tat gegen das Medienpaket. Das Unternehmen NZZ hatte sich aber der Position des Verlegerverbands angeschlossen und den pragmatischen Kompromiss des Medienpakets unterstützt. Als problematisch wurde damals vor allem die direkte Online-Förderung eingestuft. Die ist im Moment vom Tisch. Die erwähnte parlamentarische Initiative zielt nicht auf eine direkte Medienförderung ab, sondern auf indirekte Massnahmen, insbesondere im Bereich der journalistischen Ausbildung oder zur Unterstützung nationaler Nachrichtenagenturen. Die Vorlage zeigt, wie eine zeitgemässe und zukunftsgerichtete Medienförderung aussehen muss – sie fokussiert auf staatspolitisch relevante Inhalte, erfolgt indirekt sowie technologieneutral und kommt einer Vielzahl von Medien zugute.

Immer wieder gab es von einzelnen Verlagshäusern Versuche, auf Keystone-SDA zu verzichten. Setzt sich dieser Trend fort? 
Grundsätzlich erhalten wir ein sehr positives Feedback mit Blick auf unsere Angebote. Die Tatsache, dass wir als Agentur eine Basisabdeckung liefern, ermöglicht es unseren Kunden, eigene Akzente zu setzen. Natürlich gibt es unterschiedliche Bedürfnisse, und der Spardruck ist gross in der Branche. Das führt auch dazu, dass in einzelnen Fällen weniger Leistungen bezogen werden. Andere Kunden kommen zurück oder bauen aus. Ich bin überzeugt, dass es auch langfristig ein sinnvolles Mit- und Nebeneinander von Agenturinhalten und eigenen Stoffen der einzelnen Medienmarken gibt.

Die Austria Presse Agentur (APA) ist Mitbesitzerin von Keystone-SDA. Wie sieht die Zusammenarbeit aus? 
Die APA hat vor längerer Zeit den klugen strategischen Entscheid gefällt, sich im Technologiebereich ein Standbein aufzubauen. Das macht sie sehr erfolgreich, und sie ist hier in vielen Bereichen führend. Davon profitiert auch Keystone-SDA. Wir pflegen eine enge Zusammenarbeit im Bereich der technologischen Infrastruktur und Entwicklung.

Und die Zusammenarbeit mit den Verlagshäusern, die ja gleichzeitig Ihre Aktionäre sind? 
In erster Linie sind es natürlich Kundenbeziehungen. Wir tauschen uns intensiv darüber aus, wie wir unsere Angebote noch stärker auf die Bedürfnisse der Kunden ausrichten können. In der derzeitigen wirtschaftlichen Situation vieler Medienhäuser dürfte der Bedarf an Kooperationen weiter steigen. Keystone-SDA bietet sich da an. Wir sind ja eine Art genossenschaftliches Modell, das heisst, Eigentümer und Kunden sind weitgehend deckungsgleich. Keystone-SDA war seit der Gründung der SDA vor 130 Jahren ein Synergieprojekt für die beteiligten Medienunternehmen. Dieses gilt es nun auf die neuen Realitäten in der Medienbranche auszurichten.

Welches sind die grössten Herausforderungen, die Sie zu bewältigen haben? 
Das Ziel ist klar: Wir müssen uns auf der Umsatzseite verbessern. Ich bin überzeugt, dass uns dies gelingen wird, auf dem Weg dahin gibt es aber einige operative Herausforderungen. Wir müssen zum Beispiel präsenter sein im Markt. Allgemeiner betrachtet, steht die kommerzielle Verwertbarkeit von Nachrichteninformationen durch die rasche Verbreitung und die oft kostenlose Verfügbarkeit über digitale Kanäle unter Druck. Wir sind aber überzeugt, dass es eine Grundversorgung mit faktenbasierten, verifizierten und möglichst neutralen Nachrichten braucht, aus gesellschaftlicher Sicht und vor dem Hintergrund zunehmender Desinformation sowieso. Aber auch als zentraler Rohstoff für Medien, die darauf aufbauend ihre eigenen Inhalte produzieren.

Welchen Stellenwert nimmt der kommerzielle Teil der Nachrichtenagentur ein?  Soeben wurde bekannt, dass der Zürcher Kantonsrat seine Berichterstattung selbst in die Hand nehmen will. Ist das ein Problem für Sie?
Unser Kerngeschäft ist die journalistische Grundabdeckung der Schweiz mit verifizierten, unabhängigen Informationen in drei Sprachen. Daran ändert sich nichts. Aber wir sehen in der Tat Potenzial auch bei Kunden ausserhalb des Medienbereichs und werden das in nächster Zeit forcieren. Damit können wir unser Kerngeschäft stärken. Schon heute bieten wir etwa Auftragsarbeiten im Bereich Fotografie an. Solche Angebote für Unternehmen, Behörden und Organisationen lassen sich ausbauen. Kurz zum Kantonsrat: Die Parlamentsdienste haben als Kunde ein bestimmtes Angebot von uns bezogen und verzichten künftig darauf. Das ist schade, finanziell aber eine kleine Sache. Was zum Teil missverstanden wurde: Dadurch ändert sich überhaupt nichts an unserer Berichterstattung.

Die Bildagentur Keystone wurde vor sechs Jahren in die SDA integriert. Wie hat sich dieser Zusammenschluss bewährt? 
Ich finde, es läuft immer besser. Natürlich gibt es da und dort noch Luft nach oben, daran arbeiten wir. Ein solcher Zusammenschluss braucht immer Zeit. Aber man merkt, wie es zunehmend zusammenwächst und wie man sich als eine Einheit versteht. Es ist klar, dass es ein grosser Vorteil ist, wenn man ein multimediales Angebot aus einer Hand anbieten kann.

Ist die Nachfrage nach Keystone-Bildern in der Vergangenheit gestiegen oder gesunken? 
Die Nachfrage ist nach wie vor sehr gross, und wir sind gerade im Newsbereich auch wirklich sehr präsent. Und wir verfügen über ein einzigartiges Archiv – ein eigentliches fotografisches Gedächtnis der Schweiz. Auch Themenbilder mit einem Swissness-Faktor sind sehr beliebt. Wir stellen aber fest, dass das Bild unter Druck gerät. Die Gründe sind vielschichtig. Grundsätzlich steigt der Bedarf an Visualisierung, aber man bedient sich halt auch mal rasch im Internet oder produziert ein synthetisches Bild.

Welche Herausforderungen stellen sich für Sie durch künstliche Intelligenz? 
Wir sehen eigentlich primär Chancen und wollen diese nutzen. Keystone-SDA hat schon seit längerer Zeit mit automatisierter Inhaltserstellung gearbeitet, etwa mit dem Schreibroboter Lena. Natürlich sind wir uns der Herausforderungen bewusst, gerade auch im Journalismus. Wir haben uns deshalb auch früh interne Leitplanken gesetzt, die wir laufend überprüfen. Transparenz und menschliche Kontrolle sind dabei wesentliche Faktoren. Wir sind überzeugt, dass in einer Welt, in der immer mehr Inhalte künstlich erzeugt werden, verifizierte Informationen, wie sie Keystone-SDA bereitstellt, an Wert gewinnen werden. Es gibt allerdings die Gefahr, dass Angebote durch KI-Produkte substituiert werden könnten. Das ist zum Beispiel bei Stockbildern eine Möglichkeit. Gleichzeitig stellen wir fest, dass reale Themenbilder immer noch eine andere Wirkung erzielen und deshalb gefragt sind. Im Newsbereich geht es darum, Realität abzubilden, faktenbasierte Nachrichteninhalte zu produzieren. Dort sind KI-Inhalte an sich keine Alternative. Die Herausforderung liegt hier eher in der Erkennbarkeit.

Planen Sie in unmittelbarer Zukunft eine Umstrukturierung oder gar eine Sparrunde mit Personalabbau? 
Ich habe auch intern sehr offen gesagt, dass uns der Spardruck weiter begleiten wird. Wir müssen auch in Zukunft beides gleichzeitig tun: in die Weiterentwicklung investieren und gezielt sparen. Im Moment steht im Zentrum, dass wir unser Angebot noch konsequenter am Markt orientieren und neue Ertragsquellen suchen. Wir müssen und wollen dafür investieren. Aber wir werden auch um Sparbemühungen nicht herumkommen. So ehrlich muss man sein.

Wie viele Mitarbeitende beschäftigt Keystone-SDA momentan? 
Wir sind rund 190 Personen, verteilt auf rund 160 Stellen (FTE), davon sind über 80 Prozent im Bereich Content tätig.

Ihr Arbeitsort ist neu in Bern, Sie selbst leben in der Umgebung von Zürich. Werden Sie in Bälde in die Bundesstadt ziehen? 
Ich bin oft in Bern und übernachte regelmässig dort. Aber ein Umzug ist nicht geplant.


Das Interview führte Matthias Ackeret, Chefredaktor «persönlich». Es ist erschienen im Kommunikationsmagazin «persönlich», Ausgabe Mai 2024 - siehe hier.