Notstrassen brauchen kein ordentliches Verfahren
Notstrassen brauchen kein ordentliches Verfahren
Seit jeher richteten Naturereignisse wie Hochwasser, Murgänge, Rutschungen und Felsbewegungen hierzulande Schäden an, welche in Schweiz seit 1972 systematisch erfasst werden. Durch die zunehmende Besiedlung und die damit einhergehend wachsende Infrastruktur verbunden mit dem Anstieg der Sachwerte nimmt auch das potenzielle Schadensrisiko durch Naturereignisse zu. Die Behörden stehen vor der Herausforderung, die Risiken durch diverse Schutzmassnahmen zu akzeptablen Kosten zu reduzieren. Ganz vermeiden lassen sich die durch Unwetter entstandenen Schäden an der Infrastruktur jedoch nicht. Notstrassen werden auch in Zukunft das Strassenbild prägen. Wie lange dauert der Bau einer Notstrasse in einer Notsituation?
In einem in den sozialen Medien kursierenden Sharepic wird behauptet, dass die auf einem Foto gezeigte Notstrasse in Japan (siehe Abbildung unten) innert 24 Stunden erbaut worden sei, nachdem ein Erdrutsch die Strasse unpassierbar gemacht hatte. Hinzugefügt wird, dass bei einer ähnlichen Situation in der Schweiz erst ein Jahr verstreiche, bevor eine Baubewilligung für eine derartige Umfahrung vorliege. Stimmt das?
Falsch. Der Bau der Brücke in Japan im Jahr 2018 hat nicht einen Tag, sondern zwei Monate gedauert. Insgesamt war die Strecke fast vier Monate lang gesperrt. In der Schweiz wurden Notstrassen zum Teil deutlich schneller fertiggestellt, denn in Notlagen können Sofortmassnahmen ohne ordentliches Verfahren durchgeführt werden.
Das Bild zeigt die provisorische Notstrasse an der Echizen-Küste in der Präfektur Fukui in Japan, welche im Jahr 2018 erbaut wurde. Am 7. Juli 2018 kam es zu einem Erdrutsch aufgrund von starken Regenfällen. Etwa ein Kilometer der Nationalstrasse 305 wurde verschüttet und somit unpassierbar. Die lokalen Behörden sperrten die Strasse und leiteten den Verkehr um.
Aus dem Bericht des Fukui Construction Technical Association geht hervor, dass am 10. Juli erste Untersuchungen stattfanden und am 27. August dann mit dem Bau der Notstrasse angefangen wurde. Dieser wurde am 30. Oktober abgeschlossen. Die Strassensperrung der Echizen-Küste wurde am 31. Oktober 2018 aufgehoben und die Nationalstrasse 305 für den Verkehr über die provisorische Notbrücke freigeben. Insgesamt war die Strasse also fast vier Monate lang gesperrt.
Die Bauarbeiten zur Stabilisierung des Hanges und der Wiederherstellung der Nationalstrasse 305 dauerten dann weitere eineinhalb Jahre. Am 5. März 2020 wurde der Verkehr wieder über die reguläre Route geführt.
Insbesondere im asiatischen Raum wurde über die Notstrasse an der Echizen-Küste in Japan berichtet. Die Falschbehauptung über die Dauer, in der die Notstrasse erstellt wurde, kursiert seit 2019 in diversen Ländern und Sprachen, wie den Faktenchecks von diversen Organisationen zu entnehmen ist.
Erstellung von Notstrassen in der Schweiz
In der Schweiz kann die Zuständigkeit für die Strasseninfrastruktur beim Bund, bei den Kantonen oder bei den Gemeinden liegen. Keystone-SDA hat dazu die Kantone Graubünden, Bern und Wallis angefragt. Diese antworteten, dass sie Sofortmassnahmen ohne ordentliches Verfahren anordnen können, wenn Strassen durch Naturereignisse beschädigt wurden und keine Alternativen wie eine Umleitung möglich sind - jedoch nur, wenn die beschädigten Abschnitte im öffentlichen Interesse sind und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Dies geschieht je nach Situation wie Wald- oder Wassernähe unter Absprache mit den betroffenen Stellen, aber auch mit Landbesitzern.
Provisorische Übergangslösungen wie Notfallstrassen werden zeitnah erstellt, wobei dies vom konkreten Einzelfall abhängig ist und die Bauzeit somit variiert. Im Kanton Graubünden überschwemmten Ende April 2013 Schlamm, Geröll und Wasser die Kantonsstrasse zwischen Chur und Domat/Ems, worauf sie für zwei Wochen gesperrt werden musste. Der Verkehr wurde zwischenzeitlich anderweitig umgeleitet, bis die Notbrücke fertiggestellt war. Die Bauarbeiten wurden durch schwierige Bedingungen behindert.
Im Kanton Wallis verschüttete Anfang Februar 2024 ein Steinschlag in einem Tunnel die Kantonsstrasse zwischen Riddes und Isérables / La Tzoumaz, der Tunnel wurde in beide Richtungen gesperrt. Der Verkehr wurde umgeleitet und das Angebot des öffentlichen Verkehrs ausgebaut, so dass die Zugänglichkeit jederzeit gewährleistet war. Ende Februar 2024 meldete der Kanton Wallis, die Untersuchungen seien abgeschlossen, mit der Sicherung und Instandsetzung des Tunnels könne begonnen werden. Die Wiedereröffnung der Kantonsstrasse ist für Ende Juni 2024 geplant.
Im Jahr 2004 wurde einsturzgefährdete Mitholztunnel im Kanton Bern einseitig gesperrt, das kantonale Tiefbauamt ordnete als Sofortmassnahme den Bau einer provisorischen, zweispurigen Umfahrungsstrasse an. In Anbetracht des Sicherheitsrisikos, welche vom Tunnel ausging, und der drohenden Abschneidung von Kandersteg hatte die Umfahrung schnellstmöglich zu erfolgen und sollte innerhalb von zehn Tagen fertiggestellt sein.
Wenn jedoch eine neue Strasse erstellt werden soll, ist ein ordentliches Verfahren notwendig, schreibt Baudirektor Christoph Neuhaus auf Anfrage von Keystone-SDA. Auf dem Rechtsweg müsse etwa ein Jahr oder gar länger einberechnet werden, zudem könnten juristische Einsprachen den Abschluss einer Baubewilligung verzögern.
WSL: Naturgefahrenforschung (archiviert)
WSL: Datenbank Unwetterschäden (archiviert)
X-Post: Bilder der Notbrücke, 31.10.2018 (archiviert)
X-Post: Bilder der Notbrücke im Bau, 22.03.2019 (archiviert)
X-Post: Bilder der Notbrücke, 22.03.2019 (archiviert)
Blog-Beitrag zur Notbrücke, 05.08.2018 (archiviert)
Fukuishimbun: Artikel über eröffnete Notbrücke, 01.11.2018 (archiviert)
Behörde Echizen: Information über die Sperrung der Echizen-Küstenstrasse 305 (archiviert)
Behörde Echizen: Information über die Eröffnung der Notfallbrücke (archiviert)
Google-Maps: Karte des gesperrten Strassenabschnittes (archiviert)
Fukui Construction Technical Association: Bericht über Instandstellung der Nationalstrasse 305, 2019 (archiviert)
Chunichi: Artikel über Neueröffnung der Nationalstrasse 305, 04.03.2020 (archiviert)
VN Express: Vietnamesischer Bericht über Notbrücke in Japan, 25.03.2019 (archiviert)
E-Zone: Chinesischer Bericht über Notbrücke in Japan, 25.03.2019 (archiviert)
Bilder-Rückwärtssuche: Diverse Faktenchecks über die Notbrücke (archiviert)
Annahar: Faktencheck über Umfahrung in Japan, 25.03.2019 (archiviert)
AFP: Faktencheck über Umfahrung in Japan, 24.10.2019 (archiviert)
Boom: Faktencheck über Umfahrung in Japan, 17.10.2019 (archiviert)
Fact Crescendo: Faktencheck über Umfahrung in Japan, 06.11.2019 (archiviert)
Factly: Faktencheck über Umfahrung in Japan, 16.10.2019 (archiviert)
ASTRA: Zuständigkeiten der Strasseninfrastruktur (archiviert)
Kantonspolizei Graubünden: Sperrung der Kantonsstrass, 21.04.2013 (archiviert)
Kantonspolizei Graubünden: Eröffnung der Kantonsstrass, 04.05.2013 (archiviert)
Kantonspolizei Graubünden: Update über Sperrung der Kantonsstrass, 25.04.2013 (archiviert)
Kanton Wallis: Kantonsstrasse Riddes – Isérables / La Tzoumaz, 07.02.2024 (archiviert)
Kanton Wallis: Steinschlag des Becque-Tunnels, 26.02.2024 (archiviert)
Kanton Wallis: Plan mit der Verkehrsumleitung (archiviert)
Verbier: Information zur Anreise nach La Tzoumaz, 26.02.2024 (archiviert)
SRF: Schweiz Aktuell über Notumfahrung Mitholz, 23.07.2004 (archiviert)
Kontakt Faktencheck-Team: factchecking@keystone-sda.ch