09.11.2022 | Faktencheck

Das Veltlin gehörte nie zur Schweiz

Die Grenzen der Eidgenossenschaft änderten sich im Laufe der Geschichte, Kanton um Kanton schloss sich den Eidgenossen an. Die Alte Eidgenossenschaft bestand schlussendlich aus lediglich 13 Kantonen. Die Drei Bünde waren nicht mit dabei, allerdings den Eidgenossen zugewandt. Als Zugewandter Ort hatten die Drei Bünde jedoch keinen vollberechtigten Anteil an der gemeinen Herrschaft. Die Drei Bünde wurden als Kanton Rätien in die Helvetische Republik, die 1798 die Alte Eidgenossenschaft ablöste, eingegliedert. 


Santuario della Madonna di Loreto, die 1646 erbaute katholische Kirche in Tresivio, Provinz Sondrio, im Veltlin, Italien, undatierte Aufnahme. Foto: Keystone-SDA / Robert Harding / Francesco Bergamaschi
Santuario della Madonna di Loreto, die 1646 erbaute katholische Kirche in Tresivio, Provinz Sondrio, im Veltlin, Italien, undatierte Aufnahme. Foto: Keystone-SDA / Robert Harding / Francesco Bergamaschi
Behauptung

Gehörte das Veltlin auch einmal zur Schweiz, wie auf Facebook behauptet wird? Angeblich sei es «nur vorübergehend völkerrechtswidrig von Italien besetzt oder annektiert». Stimmt das?

Beurteilung

Die Behauptung ist falsch. Das Veltlin gehörte zwar bis 1797 zu den Drei Bünden, diese waren aber nur Zugewandter Ort der schweizerischen Eidgenossenschaft. Der Kanton Rätien – Nachfolger der Republik der Drei Bünde – wurde Anfang des 19. Jahrhunderts zum Kanton Graubünden und trat erst 1803 als Kanton der Eidgenossenschaft bei. 

Sachlage

Das Veltlin war zwar Untertanengebiet der Drei Bünde, erklärte André Holenstein von der Universität Bern gegenüber Keystone-SDA. Doch als das Gebiet 1803 als Kanton Graubünden zur Eidgenossenschaft stiess, gehörte das Veltlin schon nicht mehr den Drei Bünden. Das Veltlin gehörte also nie zur Schweiz, so der Geschichtsprofessor. 


Ab der gemeinsamen Verfassung im Jahr 1524 bildeten die Drei Bünde einen eigenständigen republikanischen Freistaat, wozu auch das Veltlin gehörte. Denn im Jahr 1512 hatten die Bündner das Veltlin angegriffen und das Gebiet annektiert. Fortan gehörte das Veltlin als Untertanengebiet den Drei Bünden, bis Napoleon Bonaparte 1797 das Veltlin besetzte und der Cisalpinischen Republik zuteilte. Demnach verloren die Drei Bünde das Untertanengebiet, noch bevor sie unter anderem Namen Teil der Schweizerischen Eidgenossenschaft wurden.


Am Wiener Kongress 1814/1815 ersuchte das Veltlin um eine gleichberechtigte Aufnahme in die Eidgenossenschaft oder um einen Anschluss an Österreich. Letzteres wurde gewährt und das Veltlin wurde auf eigenen Wunsch dem unter österreichischer Herrschaft stehenden Lombardo-Venezianischen Königreich angeschlossen. Während des Zweiten Italienischen Unabhängigkeitskrieges wurde das Veltlin dann 1859 italienisch.


Am Wiener Kongress wurden auch die Grenzen der heutigen Schweiz definiert mit nur kleinen Grenzkorrekturen. Das Veltlin war jedoch nie Teil der Eidgenossenschaft.


Bis ins frühe 20. Jahrhundert war es normal, angegriffene Gebiete einzuverleiben, erklärt Holenstein. Mit der Gründung des Völkerbundes im Jahr 1919, der Vorgängerorganisation der Vereinten Nationen, verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten, die territoriale Integrität aller Mitgliedsstaaten zu garantieren. Die territoriale Unversehrtheit und die politische Unabhängigkeit eines Staates ist ebenso fester Bestandteil der UNO-Charta.