08.02.2023 | Faktencheck

Revision der Internationalen Gesundheitsvorschriften

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzt sich international für die Gesundheitsförderung ein. Die Organisation arbeitet weltweit mit Partnern, um bei gesundheitlichen Notfällen und Krankheitsausbrüchen gewappnet zu sein, diese zu verhindern, zu erkennen sowie darauf zu reagieren. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie, welche nach wie vor als öffentliche Gesundheitsnotlage von internationaler Tragweite eingestuft wird, ist die Weltgesundheitsorganisation gefordert. 


 Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), am 22. Mai 2022 an der 75. Weltgesundheitsversammlung am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf. Foto: Keystone-SDA / Salvatore Di Nolfi
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation (WHO), am 22. Mai 2022 an der 75. Weltgesundheitsversammlung am europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen in Genf. Foto: Keystone-SDA / Salvatore Di Nolfi
Behauptung

In einem in den sozialen Medien kursierendem Video wird behauptet, die WHO wolle «die Menschenrechte aus den Internationalen Gesundheitsvorschriften streichen». Diese seien «ein Buch, das festlegt, nach welchen Standards medizinische Behandlungen durchgeführt werden müssen». Durch Änderungen würde die WHO zu «einer Art medizinischer Weltmacht». Was bezwecken die Internationalen Gesundheitsvorschriften und deren aktuelle Überarbeitung?

Beurteilung

Die Anpassungen der Internationalen Gesundheitsvorschriften sollen zur besseren Vorbereitung auf künftige gesundheitliche Notlagen beitragen. Dazu wird aktuell über Vorschläge diskutiert - darunter sieht einer die Streichung des Wortes «Menschenrechte» aus Artikel 3 vor. Dieser stammt jedoch nicht von der gesamten WHO, sondern ist ein Vorschlag von Indien. Welche Änderungen tatsächlich umgesetzt werden, ist Stand Februar 2023 noch ungewiss. Voraussichtlich soll eine Entscheidung bei der Weltgesundheitsversammlung 2024 fallen.

Sachlage

Wie aus Artikel 2 der Internationalen Gesundheitsvorschriften hervorgeht, besteht der Sinn der Vorschriften darin, «die grenzüberschreitende Ausbreitung von Krankheiten zu verhüten und zu bekämpfen, davor zu schützen und dagegen Gesundheitsschutzmassnahmen einzuleiten». Dies müsse in einer Art und Weise geschehen, «die den Gefahren für die öffentliche Gesundheit entspricht und auf diese beschränkt ist und eine unnötige Beeinträchtigung des internationalen Verkehrs und Handels vermeidet».


Die Internationalen Gesundheitsvorschriften – International Health Regulations (IHR) (Download-Link) – bieten also einen Rechtsrahmen, welche die Rechte und Pflichten der Länder im Umgang mit Gesundheitsrisiken festlegt und die internationale Zusammenarbeit zu deren Eindämmung regelt. Auch die Schweiz koordiniert auf dieser Grundlage Massnahmen gegen gesundheitliche Risiken mit anderen WHO-Mitgliedsstaaten. Die IHR stellen also keine Behandlungsvorschriften für Patienten dar.


An der Weltgesundheitsversammlung im Mai 2022 wurde entschieden, dass eine Arbeitsgruppe Änderungsvorschläge der Internationalen Gesundheitsvorschriften ausarbeiten werde. Die Arbeitsgruppe entschied sich im November 2022, die Änderungsvorschläge zu veröffentlichen. In der Einleitung des Dokuments steht ausdrücklich, dass die Vorschläge die aktuell gültige IHR aus dem Jahr 2005 nicht ersetzen.


Indiens Änderungsvorschläge für die Internationalen Gesundheitsvorschriften


Bei denen im Video beanstandenden angeblichen Artikeln der IHR handelt es sich um Änderungsvorschläge aus Indien. Der aktuell gültige Artikel 3, Abschnitt 1 lautet: «Die Durchführung dieser Vorschriften erfolgt unter uneingeschränkter Achtung der Würde des Menschen, der Menschenrechte und der Grundfreiheiten.» Die indische Regierung schlägt folgende Formulierung vor: «Die Durchführung der vorliegenden Verordnungen erfolgt auf der Grundlage der Grundsätze der Gerechtigkeit, der Inklusivität, Kohärenz und im Einklang mit den gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten der Vertragsstaaten und unter Berücksichtigung ihrer sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung.»


Andere Behörden wie etwa die Schweiz, die EU, aber auch die USA schlagen keine Änderung des Artikels 3 vor. Ob der indische Vorschlag im weiteren Verlauf der Beratungen über die Änderung der Gesundheitsvorschriften eine Mehrheit finden wird, ist ungewiss. In der Vergangenheit wurden bereits Änderungsvorschläge abgelehnt.


Die indische Regierung schlägt weiter vor, die WHO müsse in sieben Bereichen ihre «Kapazitäten verstärken», unter anderem bei der Bekämpfung von «Fehlinformation und Desinformation». Der Schweizer Vorschlag hingegen enthält keinen Passus zur Bekämpfung von Falschinformation.


Vorbereitung für künftige gesundheitliche Notlagen


Die Revision der IHR soll unter anderem dazu beitragen, besser für künftige gesundheitliche Notlagen gewappnet zu sein. Die Corona-Pandemie habe Grenzen der aktuellen Internationalen Gesundheitsvorschriften gezeigt. Denn die internationale Gemeinschaft sei nicht in der Lage gewesen, robust und koordiniert gegen die Ausbreitung des Virus vorzugehen.


Bei der diesjährigen Weltgesundheitsversammlung vom 21. bis 30. Mai 2023 in Genf soll die Arbeitsgruppe, welche mit den Änderungen der IHR beauftragt wurde, ihre Ergebnisse vorstellen. Bei der Weltgesundheitsversammlung 2024 werde dann über die Empfehlungen abgestimmt.


Nach Einschätzung der medizinischen Zeitschrift Lancet wird ein Konsens über die neuen Vorschriften schwer zu erreichen sein, wenn die erheblichen Ressourcen-Unterschiede zwischen reichen und ärmeren Staaten nicht stärker berücksichtigt würden.


Covid-19 weitaus gefährlicher als ein Schnupfen


In dem bei Facebook verbreiteten Video ist im Zusammenhang mit den Massnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus die Rede von einem «Schnupfen». Französische Forschende ermittelten, dass Sars-CoV-2-Viren in den ersten Monaten der Pandemie fast dreimal tödlicher waren als Influenza-Viren. Ein deutscher Experte in Immunologie bestätigte dies gegenüber Keystone-SDA für einen früheren Faktencheck. Im Verlaufe der Pandemie wurde Sars-CoV-2 zwar immer weniger tödlich, war durchschnittlich jedoch immer noch gefährlicher als eine Influenza. Dies veranschaulichte Ende Januar 2022die Financial Times anhand der Daten der britischen Behörden.