27.04.2022 | Faktencheck

WHO als Weltherrscherin über die Pandemie?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) setzt sich für eine gesündere und sicherere Welt ein, von dem alle überall gleichermassen profitieren sollen. Die WHO koordiniert international das öffentliche Gesundheitssystem. Die Sars-CoV-2-Pandemie hat Mängel in diesem globalen System und in der Gesundheitsversorgung offenbart, welche die Organisation mit einem neuen, internationalen Instrument beheben will. Genau dieses Vorhaben wird im Netz kritisiert. 


Der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am 20. Dezember 2021 an einer Medienkonferenz der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Foto: KEYSTONE / Salvatore di Nolfi
Der WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus am 20. Dezember 2021 an einer Medienkonferenz der Weltgesundheitsorganisation in Genf. Foto: KEYSTONE / Salvatore di Nolfi
Behauptung

«Die WHO ist daran, die Weltherrschaft über Pandemie, Impfungen etc. vollends an sich zu reissen», ist in einem Facebook-Post zu lesen. Diese neue Gesetzgebung sei übernational verpflichtend. Ausserdem heisst es in dem Post, werde die WHO zu rund 80% privat finanziert wird. «Von wem wohl? Von der Gates Foundation und ‘seinem’ GAVI», wird die Frage gleich selbst beantwortet. Stimmt dies?

Beurteilung

Die Behauptungen sind Spekulationen und teilweise falsch. Details zum angestrebten globalen Abkommen zur Stärkung der Pandemieprävention sind, Stand April 2022, noch offen, die Weisungsbefugnisse der WHO noch nicht definiert. Die Bill & Melinda Gates Foundation ist zwar der grösste private Geldgeber der WHO, trägt jedoch nur knapp 10 Prozent zum Gesamtbudget der Organisation bei, die Impf-Allianz Gavi nur rund 6,5 Prozent. 

Sachlage

Im März 2021 forderten 25 führende Politiker diverser Staaten und internationaler Organisationen ein globales Pandemie-Abkommen. Damit sollte die Weltgemeinschaft besser auf künftige Gesundheitskrisen vorbereitet sein. Auch die Schweizer Behörden unterstützen diese Zielsetzung. Am 1. Dezember beschlossen die 194 Mitglieder der Weltgesundheitsorganisation, ein globales Instrument zur Stärkung der Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion auszuhandeln. Ein entsprechendes Dokument soll im Jahr 2024 zur Prüfung vorliegen.


Bei den Bestrebungen der WHO geht es darum, die Zusammenarbeit bei der Erkennung, Vorsorge und Reaktion auf eine Pandemie zu verbessern. Dadurch soll unter anderem auch ein gleichberechtigter Zugang zu Arzneimittel ermöglicht werden. Auch nichtstaatliche Organisationen, die massgeblich zur Pandemievorbereitung und -bekämpfung beitragen, werden bei der Ausarbeitung mit einbezogen. Am 12. und 13. April 2022 fand das erst Public Hearing statt, ein weiteres ist im Juni 2022 geplant.


Die rechtliche Form des globalen Pandemie-Instrumentes


Die Form des internationalen Instruments zur Pandemieprävention, -vorsorge und -reaktion ist bisher ebenso wenig geklärt wie die Frage, inwiefern das Instrument rechtlich verbindlich sein wird oder welche Befugnisse die WHO damit erhält. Die USA sprachen sich gegen einen verbindlichen Vertrag aus. Auch aus Indien und Brasilien kommen kritische Stimmen.


Die Europäische Union hingegen unterstützt die Bemühungen, wie sie in einer Mitteilung Ende März 2022 betonte. Auch die Schweizer Behörden stehen hinter einem globalen Instrument zur Verbesserung der Pandemieprävention, wie Alain Berset in der Videobotschaft zum Auftakt der Sondersitzung zum Projekt vom 29. November bis 1. Dezember 2021 bekundete. Gegen ein globales Pandemie-Instrument spricht sich in der Schweiz der Verein Freunde der Verfassung aus, welche die Souveränität der Schweiz angegriffen sieht.


Als souveräner Staat kann die Schweiz selbst entscheiden, welche neuen völkerrechtlichen Verpflichtungen sie übernehmen will, schreibt Judith Wyttenbach vom Institut für öffentliches Recht der Universität Bern auf Anfrage von Keystone-SDA. «Die Schweiz ist Mitglied der WHO und nimmt an der Aushandlung neuer Instrumente teil. Dort kann sie sich gestaltend einbringen. Ist der neue Vertrag ausgehandelt und verabschiedet, kann die Schweiz einen Vertragsbeitritt prüfen», führt die Professorin aus. Die Schweiz entscheidet somit selbst, welche rechtlich verbindlichen Verpflichtungen der WHO sie ratifiziert und welche nicht.


Die WHO und die Bill & Melinda Gates Foundation


Die WHO ist stark von privaten Geldgebern abhängig, über 80 Prozent des Budgets stammen aus freiwilligen Beiträgen. Aktuell ist nach Deutschland die Bill & Melinda Gates Foundation der zweitgrösste Geldgeber der WHO. Ihr Beitrag beläuft sich auf knapp zehn Prozent des Gesamtbudgets.


Die Impf-Allianz Gavi, welche sich weltweit für die Impfung von Kindern gegen Infektionskrankheiten einsetzt, trägt fast 6,5 Prozent zum Budget der WHO bei. Obwohl die Gates-Foundation zu den Gründungspartnern von Gavi gehört, ist die Stiftung nicht der Hauptspender. Die finanzielle Unterstützung durch die Vereinigten Staaten von Amerika ist deutlich höher.


Die Beiträge der Gavi-Impfallianz sowie der Gates-Foundation an die WHO sind mehrheitlich zweckgebunden. So werden die meisten Gavi-Spendengelder für den verbesserten Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen eingesetzte. Der grösste Teil der Beiträge der Gates-Foundation wird zur Ausrottung der Kinderlähmung verwendet.


Obwohl die WHO von den Mitgliedsstaaten betrieben wird, ist sie stark auf private Spender angewiesen. Eine unter anderem von der früheren deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel geforderte Erhöhung der Beiträge der Mitgliedstaaten wurde bislang nicht umgesetzt. Das Finanzierungsmodell der WHO stösst immer wieder auf Kritik, ebenso wie die Rolle der Bill & Melinda Gates Foundation, über deren Spenden die WHO nicht frei verfügen kann.
 

Quellen

Facebook-Post (archiviert)


Tweet von Alain Berset zur Eröffnung der WHA Special, 29.11.2021 (archiviert)


Tweet von Tedros Adhanom Ghebreyesu zum Sessionsstart, 29.11.2021 (archiviert)


Tweet von Tedros Adhanom Ghebreyesu mit Videobotschaft, 30.11.2021 (archiviert)


Videobotschaft von Alain Berset (archiviert)


WHO: Ihre Arbeit (archiviert)


WHO: Forderung nach internationalem Pandemie-Abkommen, 30.03.2021 (archiviert)


WHO: Eventdetails zur Sondersession der WHA, 29.11.-01.12.2021 (archiviert)


WHO: Mitteilung zur Sondersession der WHA, 29.11.-01.12.2021 (archiviert)


WHO: Medienmitteilung zum Projektstart zu einem globalen Abkommen zur Pandemieprävention, 01.12.2021 (archiviert)


WHO: Beschluss der Sondersession, 01.12.2021 (archiviert)


WHO: Medienmitteilung zur Sondersession, 01.12.2021 (archiviert)


WHO: Eröffnungsrede beim ersten Meeting zur Schaffung eines globalen Pandemieabkommens, 24.02.2022 (archiviert)


WHO: Termine und Dokumente des Verhandlungsgremiums (archiviert)


WHO: Public Hearing, 12.-13-04-2022 (archiviert)


WHO: Medienmitteilung zur Absichtserklärung zur EU-Unterstützung, 23.03.2022 (archiviert)


WHO: Finanzflüsse der WHO nach Mitglieder (archiviert)


WHO: Finanzflüsse der Gates-Foundation (archiviert)


WHO: Finanzflüsse der Gavi-Allianz (archiviert)


Gavi: Über die Impf-Allianz (archiviert)


Gavi: Spendebeiträge Periode 2021-2025 (archiviert)


Gavi: Bill & Melinda Gates Foundation (archiviert)


Bundesrecht: Verfassung der WHO (archiviert)


EU: Internationaler Vertrag zur Pandemieprävention und -vorsorge (archiviert)


SWI: Berset eröffnet die Weltgesundheitsversammlung der WHO, 24.05.2021 (archiviert)


SWI: Einfluss der Gates-Foundation auf die WHO, 10.05.2021 (archiviert)


Tagesschau.de: Finanzierung der WHO, 23.04.2020 (archiviert)


The Lancet: Zukünftige Finanzierung der WHO, 23.03.2022 (archiviert) DOI


Reuters: Politische Unterstützung des internationalen Pandemie-Abkommens, 24.02.2022 (archiviert)


Freunde der Verfassung: Nein zum Pandemie-Vertrag, 19.04.2022 (archiviert)

 

 

 


Kontakt Faktencheck-Team: factchecking@keystone-sda.ch